Bei unserer Recherche zeigt sich, dass die ersten Artikel zum Thema Landgrabbing in Deutschland bereits im Jahr 2013 veröffentlicht wurden. Denn schon damals machte eine Studie darauf Aufmerksam, dass es sich dabei nicht nur um ein Problem Afrika‘s und Südamerika‘s, sondern auch Europa‘s handelt.
Doch obwohl Landgrabbing hier schon vor circa 10 Jahren öffentlich thematisiert und durchaus stark kritisiert wurde, hat sich seither nicht viel getan. Das allein wäre also Grund genug, sich dem Thema noch einmal ausführlich zu widmen. Hinzukommt allerdings noch ein zweiter:
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sollte dem Thema Landraub noch einmal eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Denn in dem Land, das auch als die „Kornkammer Europa’s“ bezeichnet wird, wächst zu größten Teilen gar kein europäischer, sondern chinesischer Weizen.
Chinesische Staatsfonds kaufen und pachten seit Jahren riesige Flächen Agrarland und horten erhebliche Mengen an Getreide. Es liegen keine genauen Zahlen vor, allerdings schätzen Experten, dass China 50% der weltweiten Getreidelagerbestände hält. Die Strategie dient vorrangig dazu, die Ernährungssicherheit der eigenen Bevölkerung herzustellen, denn nur 9% der chinesischen Landesfläche eignet sich aufgrund der Topographie und der Vegetation für den Ackerbau. Hinzukommt, dass die Industrialisierung im Land extrem viel Boden verseucht hat. Um das Milliardenvolk langfristig versorgen zu können, werden also zusätzliche Mittel benötigt. Ein weiterer Grund ist allerdings auch, um auf diese Weise wirtschaftliche Abhängigkeiten zu schaffen, die wiederum politisch (aus)genutzt werden können
Wie hoch der Preis globaler Bodeneinkäufe für die betroffenen Ländern ist, konnten wir uns nämlich zu Beginn des Angriffskrieges mit eigenen Augen in Europa ansehen:
Welche Folgen globale Bodeneinkäufe in den betroffenen Ländern haben, konnten wir uns nämlich zu Beginn des Angriffskrieges mit eigenen Augen in Europa ansehen:
Die Ackerfläche, die ein Land an ausländische Investoren und Unternehmen verpachtet oder verkauf, steht schließlich nicht mehr für die Versorgung der eigenen Bevölkerung zur Verfügung. Die Nahrungsmittel sind nämlich maßgeblich für den Export bestimmt. Kommt es zu einer Versorgungsknappheit im Inland, fehlen dem eigenen Staat die Handlungsmöglichkeiten entgegenzusteuern. In einigen Regionen in der Ukraine wurde deshalb zu Beginn des Angriffskrieges vor einer Hungersnot gewarnt.
Laut der US-Raumfahrtbehörde Nasa Harvest hat Russland von ukrainischem Ackerland, das nicht unter der Kontrolle des Landes läge, im letzten Jahr circa 5,8 Millionen Tonnen Weizen geerntet. Der geschätzt Wert dieser Getreidemenge beläuft sich auf circa eine Milliarde Dollar (rund 950 Millionen Euro). Entsprechend führt Landgrabbing zu enormen finanziellen Verlusten für den eignen Staat.
Zugriff auf Agrarland bietet immer auch ein Instrument um politische Macht entweder zu erlangen, oder zu demonstrieren. Durch den Krieg in der Ukraine stieg die Nachfrage und der Preis für Grundnahrungsmittel, wie Weizen, enorm an. Laut Agrarexperten Hendrik Mahlkow nutzt China solche Situationen aus, um seine Marktmacht weiter auszubauen. Entwicklungsländer müssen zum Beispiel Hilfegesuche stellen, weil sie sich die Getreideimporte aufgrund der Preissteigerung nicht mehr leisten können. Daraufhin öffnet China zwar seine Speicher, aber eben nur unter gewissen Voraussetzungen. Auf diesem Weg erkauft sich China weiteren Einfluss und baut seine Macht global aus.
Dieses prekäre Beispiel zeigt, wie aktuell das Thema Landgrabbing in Europa ist. Und obwohl wir von diesen Zuständen in Deutschland weit entfernt sind, fragen wir uns nun dennoch:
Wem gehört eigentlich das Agrarland in Deutschland?
Doch bevor es diese Frage zu beantworten gilt, muss im ersten Schritt geklärt werden, was unter Landgrabbing eigentlich zu verstehen ist.
Das Wort „Landgrabbing“ kommt aus dem Englischen und setzt sich aus „land“, also dem Land bzw. der Fläche, und „grabbing“ zusammen. Letzteres heißt soviel wie „an sich reißen“ oder „packen“. Ein „grabber“ ist im Englischen auch ein Räuber. Auf Deutsch wird Landgrabbing deshalb oft mit Landraub übersetzt.
Ursprünglich wurde der Begriff gewählt um die großen Landkäufe im globalen Süden zu beschreiben, die durch europäische, amerikanische und chinesische Investoren getätigt wurden. Daneben wird er auch für den tatsächlichen Raub an Land verwendet, so wie es beispielsweise in militärisch besetzten Gebieten der Fall ist.
Mittlerweile wird der Begriff eher als Überbegriff verwendet, um generell Situationen auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt zu beschreiben, bei denen es zu erheblichen Eigentumsverschiebungen kommt.
Hierzulande versteht man deshalb unter Landgrabbing den Kauf oder eine langfristige Pacht von großen Agrarflächen durch nichtlandwirtschaftliche Privatpersonen oder Unternehmen, die den Boden vor allem aus Spekulationsgründen erwerben.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium geht davon aus, dass sich mittlerweile fast 60% der gesamten deutschen Agrarfläche in der Hand von branchenfremden Investoren befindet.
Diese Frage ist klar und kurz zu beantworten: Vor allem im Osten des Landes. Das hat historische Gründe, denn während in der DDR Anfang der fünfziger Jahre alle Flächen zwangskollektiviert und zu Volkseigentum erklärt wurden, blieb die Landwirtschaft im Süden überwiegend in der Hand familiärer Betriebe und wird nach wie vor weitervererbt.
Historisch bedingtes Landgrabbing im Osten Deutschlands
Im Jahr 1945 wurde jeder Ostdeutsche, der über mehr also 100 Hektar Grundbesitz verfügte, enteignet. Große Flächen wurden mit dem Ziel eine kleinteilige Landwirtschaft zu schaffen, in kleine Flurstücke unterteilt und an Mittellose übergeben. (Dieses Ziel wurde übrigens nie erreicht).
Anfang der fünfziger Jahre wurden die Flächen dann zwangskollektiviert und jeder Landwirt musste mit seinem Hab und Gut (Land, Tiere, Ställe, Maschinen) in eine Genossenschaft, eine sogenannte Landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaft (kurz „LPG“), eintreten. Für die Abgabe ihres Eigentums erhielten die Bauern Anteile an der Genossenschaft. Die LPGs legten die Flächen zusammen und verfügen damit über riesige Strukturen an Agrar- und Waldflächen, die sie bewirtschafteten. Darüber hinaus gelang auch die DDR selbst durch die Enteignungen an circa eine Million Hektar Land, die sie von nun an im Staatsbesitz hielt.
Doch mit dem Fall der Mauer stellte sich plötzlich drei entscheidende Fragen: Wem gehörte, wem gehört, und wem wird der Osten nun gehören? Und damit begann der größte Umverteilungsprozess im Nachkriegseuropa.
Rund 80% der Flächen wurden wieder in die Verfügungsgewalt der jeweiligen Grundeigentümer gegeben. Die restlichen 20% der Flächen, die sich im Staatsbesitz der DDR befanden, gingen an die neue Bundesrepublik über. Dabei handelte es sich um 1.020.000 Hektar Land.
Auch diese Flächen sollten neu organisiert werden. Um diesen Prozess zu leiten gründete die Bundesrepublik im Jahr 1992 die Boden-Verwertungs- und -verwaltungs GmbH, kurz „BVVG“. Die ehemals volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sollten durch die BVVG entweder wieder dem freien Markt zugeführt, in begrenztem Umfang Alteigentümern zurückzugeben oder privatisiert werden. Während viele Jahre damit verbracht wurden, die Flächen ausschließlich zu verpachten erfolgte später der Verkauf.
2007 – Das entscheidende Jahr
Doch die durch die Historie bedingten großen landwirtschaftlichen Strukturen im Osten und der Privatisierungsprozess allein führte nicht zum Landgrabbing in Deutschland. Entscheidend scheint hierfür aus zwei Gründen aber das Jahr 2007 zu sein.
Erstens kam es in diesem Jahr zur Finanzkrise, wodurch Anleger verzweifelt nach werthaltigen Vermögensgegenständen suchten und in Sachwerte flüchteten. Unterstützt durch die billige Geldpolitik der Notenbanken wurde Boden so zu einer beliebten Anlage.
Zweitens beschloss die BVVG im selben Jahr eine Strategieänderung. Das staatliche Unternehmen ging dazu über die landwirtschaftlichen Flächen in öffentlichen Ausschreibungen zu Höchstgeboten zu veräußern. So wurden Höchstgebote der einen Ausschreibung zu Minimalgeboten der nächsten Ausschreibung.
Damit rückte der Boden und die erzielbaren Preise in die Aufmerksamkeit von branchenfremden Anlegern und Spekulanten. Ab dem Jahr 2010 vermehrten sich die Klagen ostdeutsche Landwirte darüber, dass Flächen einerseits von Nichtlandwirten aufgekauft, und andererseits immer teurer verpachtet oder verkauft werden.
Hierzulande sind die Folgen andere, als die in der Ukraine. Dennoch sind sie auch in Deutschland schädlich. Konkret geht es vor allem um vier Bereiche:
In den vergangenen 15 Jahren haben sich die Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen deutschlandweit fast verdoppelt.
Tatsächlich sind signifikante Preissteigerungen ab dem Jahr 2007 ersichtlich
Bei einem Vergleich der verschiedenen Bundesländer zeigt sich das Ausmaß in den neuen Bundesländern deutlich. Im Durchschnitt muss hier für einen Hektar Land nach dreizehn Jahren mehr als der dreifache Preis gezahlt werden.
Auf der Website des Statistischen Bundesamts heißt es hierzu:
Die durchschnittlich gezahlten Kaufpreise für landwirtschaftliche Grundstücke sind in Deutschland und den meisten Bundesländern in den vergangenen Jahren stark angestiegen. […] Die beobachteten starken Anstiege der Kaufpreise werden in der politischen Diskussion unter anderem auf die Käufe von Land durch außerlandwirtschaftliche Investoren zurückgeführt.
Die Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen können Sie hier beim Statistischen Bundesamt abrufen
Neben den niedrigen Erzeugerpreisen ist es vor allem der Druck durch steigende Pacht- und Kaufpreise für Boden, der viele Landwirte dazu zwingt ihren Betrieb aufzugeben. Denn sobald fremde Investoren Agrarland kaufen, erhöhen sie die Pachtpreise sukzessiv. Die Betriebspleiten, die darauf folgen, locken wiederum weitere Investoren an.
Im Jahr 2000 gab es in Deutschland noch fast 460.000 Agrarbetriebe. Von diesen sind 2020 noch rund 256.000 übrig. Politiker sprechen deshalb vom „extremen Höfesterben“ und dem „Ausbluten der ländlichen Räume“
Der Eigentümerwechsel zieht auch ökologische Folgen mit sich, denn nachdem sich das Land im Eigentum von Investoren befindet, entscheiden diese, was und wie auf den Flächen angebaut wird – und dabei handelt es sich um möglichst gewinnbringende Produkte und Strategien.
Deshalb wird einerseits das Ziel verfolgt möglichst große Flächen höchst automatisiert zu bewirtschaften, umso wenig Arbeitskräfte wie möglich beschäftigen zu müssen und Skaleneffekte zu erreichen.
Die EU-Subventionen, die Eigentümer von landwirtschaftlichen Flächen ausgezahlt bekommen, werden übrigens nach Hektar bewirtschaftetem Land bezahlt und nicht nach der Anzahl von geschaffenen Arbeitsplätzen. Dies wird von vielen Landwirten zusätzlich kritisiert
Andererseits werden Nahrungsmittel produziert, die auf dem Weltmarkt den meisten Profit erbringen. Dabei handelt es sich vor allem um Energiepflanzen wie Mais, Raps, Zuckerrüben und Weizen.
Infolgedessen bauen Großbetriebe auf ihren Flächen vor allem Monokulturen an, die sie mit schweren, möglichst automatisierten Maschinen bewirtschaften. Für eine maximal große Ernte werden zusätzlich vielerlei Pestizide und Düngemittel verwendet.
Ein Beispiel: Der Bauunternehmer Kurt Zech, baut auf seinen über 20.000 Hektar Ackerland vor allem Mais für Biogasanlagen an. Zum Vergleich: Das entspricht einer ungefähr der Fläche von zwei Drittel Münchens
Laut Experten findet so die falsche Bodenbearbeitung, zur falschen Zeit mit zu schweren Maschinen statt. Dies führt dazu, dass in Deutschland über die Hälfte der Böden in Deutschland als erosions- und verdichtungsgefährdet sind. Der Boden sei quasi „nicht lebendig“.
Neben den Auswirkungen auf die Bodenqualität ist die Bewirtschaftungsform zudem schlecht für die Luft, das Grundwasser sowie die Artenvielfalt. Experten sind deshalb der Meinung, dass die Nachhaltigkeitsziele Deutschlands oder der EU nicht erreicht werden können, sofern sich die Bewirtschaftungskonzepte nicht ändern.
Der große Umverteilungsprozess in Ostdeutschland barg vielerlei Konflikte zwischen der BVVG und den Landeigentümern. Zahlreiche ehemalige Genossenschaftsmitglieder fühlen sich noch heute übergangen und betrogen. Laut einer Studie der Universität Jena waren fast alle (über 95%) der LPG-Umwandlungen grob fehlerhaft und hätten von den zuständigen Registergerichten nicht eingetragen werden dürfen. Zudem wurde festgestellt, dass zwischen 85 und 90% der ausgeschiedenen LPG-Mitglieder nicht ausreichend entschädigt wurden.
Bei diesen Zahlen scheint es nicht verwunderlich, dass die BVVG über die Jahre hinweg Millionenbeträge für Gerichtsverhandlungen bereithielt.
Darüber hinaus trägt die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft festgestellte „unfaire Situation auf dem Bodenmarkt“ (siehe unten) zum großen Unmut unter deutschen Landwirten bei. Seit Jahren ist das Thema bekannt, seit Jahren fühlt man sich nicht gehört.
Dennoch handelt es sich bei den vorgelegten Zahlen immer um Schätzungen. Denn genau wie im Fall von Immobilieneigentum gibt es keine konkreten Daten zu der Eigentumsverteilung von landwirtschaftlichem Boden in Deutschland. Erfasst wird lediglich wie viel Fläche ein Landwirtschaftsbetrieb im Eigentum hält. Doch nicht, wer der Besitzer des Betriebs ist. Steht hinter einer „Agrargenossenschaft“ tatsächlich eine Genossenschaft? Oder eine Stiftung, ein branchenfremdes Unternehmen oder vielleicht einfach einen ortsfremden landwirtschaftlichen Betrieb?
Ein Beispiel: 2019 kauft sich die Boscor-Gruppe in den Agarbetrieb Kayna im Burgenlandkreis ein. Kayna ist eine ehemalige Genossenschaft, die nach der Übernahme durch Boscor zu einer GmbH umgewandelt wurde. Alleiniger Gesellschafter der Boscor-Gruppe ist, wie das Handelsblatt aufdeckte, die Lukas-Stiftung, welche wiederum eine der drei Eigentümerinnen des Discounters Aldi Nord ist. Die Stiftung dient also dem Zweck Teile des Privatvermögens der Albrecht-Familie zu verwalten
Bei solcherlei Fällen hilft auch nicht die 2020 eingeführte EU Richtlinie, die eine Novelle im Preisstatistikgesetz mit sich zog. Danach muss nun laut § 7 Absatz 1 beim Verkauf landwirtschaftlicher Fläche erstmals zusätzlich erfasst werden, ob der Käufer ein Landwirt ist oder nicht.
Hinzukommt, dass diese EU-Richtlinie durch die deutsche Datenschutzrichtlinie ohnehin ausgehebelt werden könnte. Denn durch das angepasste Preisstatistikgesetz wird nun erstens erfasst, ob es sich um einen Landwirt oder einen branchenfremden Käufer handelt und zweitens wie viel Fläche gekauft wurde. Mit diesen Daten könnten unter Umständen Rückschlüsse auf den Investor möglich sein. Sofern das der Fall ist, dürfen die Transaktionsdaten, die laut deutschem Datenschutzgesetz die Anonymität gewährleisten müssen, nicht veröffentlicht werden. Dies würde zu der Situation führen, dass die Informationen zwar vorhanden, aber nicht zugänglich sind.
Auch die Grundbuchämter verfügen über keine Daten, die sich diesbezüglich zusammenführen ließen und bundesweit Aufschluss über die Eigentumsstrukturen geben könnten.
Deshalb hat der Agrarausschuss im Deutschen Bundestag 2021 eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, um den Eigentumsverhältnissen im landwirtschaftlichen Bodenmarkt auf den Grund zu gehen. In der Erklärung zum Forschungsauftrag heißt es dabei:
„Der Agrarausschuss im Deutschen Bundestag hat erhebliche Wissenslücken zum Thema Bodeneigentumsverteilung festgestellt. Aus diesem Grund hat er eine Untersuchung veranlasst, da eine bundesweite Eigentumsstatistik nicht (oder nur mit extrem hohem Aufwand) herstellbar ist.“
Die Studie bilanziert:
Das Forschungsprojekt und die Ergebnisse der Studie: „Marktmacht in landwirtschaftlichen Bodenmärkten“ im Auftrag des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft finden Sie hier
Genau wie im Immobilien- bzw. Grundstücksmarkt braucht es in Deutschland demnach dringend mehr Klarheit über die Eigentumsverhältnisse bei landwirtschaftlichen Flächen.
Unter den Investoren befinden sich Landwirte aus den alten Bundesländern, genauso wie branchenfremde Unternehmen, Konzerne und Stiftungen. Mittlerweile treten zudem vermehrt sogenannte „Family Offices“ auf. Dabei handelt es sich um vermögensverwaltende Unternehmen, die dem Zweck dienen das Eigentum der eigenen Familie oder einer dritten Person zu verwalten bzw. zu vermehren.
Einige prominente Namen, die hinter diesen Unternehmensstrukturen stehen und im Rahmen unserer Recherche zum Thema Landgrabbing aufgetaucht sind, sind zum Beispiel:
Fielmann (Brillenfabrikant), Steinhoff (Möbelhersteller), Munich RE (Versicherung), Lindhorst (Immobilien), Norbert Redmann (Müllhandel), Zech-Gruppe (Bau und Immobilien), Albrecht (Lebensmitteleinzelhandel) oder gar die Sparkasse (Bank).
Kurz gesagt: Ja!
Bei vorliegendem Problem kommt in Deutschland wieder einmal der Föderalismus zum Tragen, denn es gibt eine Lücke zwischen dem Bundes- und dem Landesrecht. Landgrabbing wird deshalb auch als „Folge einer Gesetzeslücke“ gesehen. Der Weltagrarbericht geht sogar noch weiter und sieht Landgrabbing als Zeichen „staatlichen Versagens“.
Konkret geht es dabei einerseits um das Grundstücksverkehrsgesetz, das eigentlich eine „ungesunde Verteilung“ von Grund und Boden verhindern soll, indem es jeden Landverkauf eines Landwirts anzeigepflichtig macht. Für den Fall dass ein Landwirt seinen Acker an einen Nichtlandwirt verkauft, wird örtlichen Bauern zudem ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Ein Verkauf bedarf somit einer Genehmigung des örtlichen Landwirtschaftsamts.
Doch was passiert, wenn ein Nichtlandwirt einen Betrieb samt Ackerflächen aufkauft? Nichts. Denn an dieser Stelle greift das Handelsrecht des Bundes, wodurch bei einem Betriebskauf (einem sog. Share Deal) erstens keine Meldepflicht und zweitens unter bestimmten Voraussetzungen auch keine Gewerbesteuer anfällt. Über Share Deals können branchenfremde Investoren somit indirekt Land erwerben. Aufgrund der historisch bedingen Struktur der Landwirtschaft im Osten kommen sie auf diesem Weg auf einen Schlag an sehr große Flächen.
Das führt zu der grotesken Situation, dass ein Investor zum Beispiel 150 Hektar Land gewerbesteuerfrei durch einen Unternehmenskauf erwerben kann, während ein Bauer für fünf Hektar eine Genehmigung des Landwirtschaftsamtes benötigt und Gewerbesteuer zahlen muss
Doch warum werden die Gesetze nicht einfach entsprechend angepasst?
Das Bodenmarktrecht wurde 2006 durch die Förderalismusreform in die Hände der Bundesländer gelegt. Sie müssten also eigentlich Gesetzte erwirken, die diese Gesetzeslücke schließen. Fast alle Bundesländer arbeiten derweilen an neuen Agrarstrukturgesetzen. Doch das ist nicht einfach, denn erstens muss ein solches Gesetz die Spekulation mit Boden verhindern, zweitens von den einzelnen Fraktionen befürwortet, und drittens mit dem Handelsrecht konform sein und die Freiheit des Kapitalverkehrs nicht verletzen.
Andernfalls kann das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof prompt wieder einkassiert werden. Aus diesem Grund sehen die Länder hier auch den Bund am Zug, um das Handelsrecht entsprechend anzupassen.
Unterdessen versucht der Bund die vergangenen Fehler mit einigen Maßnahmen wiedergutzumachen.
Zum einen wurden Share Deals am 1. Juli 2021 durch einen Beschluss im Bundestag stärker begrenzt. Zuvor war es so, dass ein Unternehmenskauf erst ab einer Beteiligung von über 95% gewerbesteuer- und meldepflichtig wurde. So beteiligten sich Investoren beispielsweise zu 94,95% an einem Betrieb. Nach fünf Jahren erhöhten sie die Unternehmensanteile auf 100% und übernahmen damit den Landwirtschaftsbetrieb komplett – ohne Steuer und ohne Meldung. Diese Anteilsgrenze wurde nun auf 90% abgesenkt und die notwendige Haltefrist der Anteile auf 10 Jahre erhöht. Untersagt sind Share Deals damit allerdings nach wie vor nicht.
Zweitens wurde im Mai 2021 verkündet, dass die verbleibenden Flächen im Bestand der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH künftig nur noch an ökologisch und nachhaltig wirtschaftende Betriebe verpachtet werden. Dabei sollten Junglandwirte und Existenzgründer besonders berücksichtigt werden. Zudem wurde beschlossen den Verkauf bzw. die Privatisierung zu stoppen. Lediglich die bereits verhandelten Kaufverträge sollten noch abgewickelt werden, um bestehenden Rechtsansprüchen nachzukommen. Dabei ging es um circa 6.000 Hektar Land.
Doch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die diesbezügliche Einigung der Bundesregierung knapp einen Monat später, im Juni 2022, für nichtig erklärt. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums erklärte, dass keine finale Vereinbarung vorliegen würde und sich die Ressorts deshalb über die Zukunft der restlichen BVVG-Flächen auf Grundlage des Koalitionsvertrages erneut abstimmen müssten.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung heißt es wortwörtlich: „Die BVVG-Flächen werden für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie Klima- und Artenschutz genutzt. Dabei werden landwirtschaftlich genutzte Flächen vorrangig an nachhaltig bzw. ökologisch wirtschaftende Betriebe verpachtet und nicht veräußert“
Doch das alles kommt bei der Betrachtung der übrigen Flächen, um die es sich dabei noch handelt, ohnehin etwas spät: Von der circa eine Million Hektar ostdeutschem Ackerland, welches die Bundesrepublik nach der Wende im Eigentum hielt, sind nur noch etwa 91.000 Hektar übrig.
Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema und den Folgen von Landgrabbing in Deutschland ist die Tendenz groß, ein hartes Urteil zu sprechen und konsequente Maßnahmen einzufordern. Um ein möglichst ganzheitliches Bild zu zeichnen, muss an dieser Stelle jedoch auch erwähnt werden, dass die Debatte diesbezüglich oft unausgewogen ist. Laut den Interviewenden ist es äußerst einfach mit Landwirten ins Gespräch zu kommen, die mit der Situation unzufrieden sind.
Doch es gibt auch solche, die strikt gegen eine Regulation des landwirtschaftlichen Bodenmarktes sind. Einerseits, weil dies auch die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten begrenzen würde. Andererseits weil die Landwirtschaft in Zukunft immer abhängiger wird von finanzstarken Personen und Unternehmen, die das notwenige Kapital in Betriebe investieren, sodass diese langfristig erfolgreich bestehen könnten. Solcherlei Mittel würden dem „kleinen Bauer“ schlicht nicht zur Verfügung stehen.
In einer von uns zur Recherche betrachteten Dokumentation äußert sich auf der anderen Seite auch ein Investor mit folgender Meinung: „Der böse Investor, der ist böse, weil er kauft. Aber der Bauer, der verkauft und sich Millionen in die Tasche steckt, über den redet kein Mensch.“
Und so stellen wir fest, dass auch diese Münze zwei Seiten hat.
Abschließend möchten wir allerdings noch einmal auf die Meinung eines Bodenexperten vom Thünen-Institut zurückgreifen.
Das Thünen-Institut ist das Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei. Es wurde als wissenschaftlich unabhängige Forschungseinrichtung an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft eingerichtet. Hier finden Sie viele interessante Publikationen rund um den landwirtschaftlichen Bodenmarkt von Andreas Tietz
Andreas Tietz untersucht dort seit Jahren die Eigentumsstrukturen und die Entwicklung der Bodenpreise von Agrarflächen in Deutschland. Er stellt in seinen Studien ebenfalls fest, dass Landgrabbing einer der Gründe ist, warum die Preise für landwirtschaftliche Flächen enorm steigen. In einem aktuellen Report „Bauernland in Bauernhand“ kommen Tietz und seine Kollegin Tölle daher zum Schluss, dass nicht die landwirtschaftliche Wertschöpfung den innerlandwirtschaftlichen Kaufpreis [für Boden] bestimmt, „sondern die Zahlungsbereitschaft der nichtlandwirtschaftlichen Nutzer“.
Dennoch findet laut Tietz kein Ausverkauf von Ackerboden in Deutschland statt, denn pro Jahr kämen weniger als 1% der Ackerfläche auf den Markt. Große Investitionen können deshalb besser in anderen Ländern getätigt werden (zum Beispiel Afrika oder Rumänien).
Tatsächlich zeichnet der Experte in Bezug auf die Bodenpreissteigerungen ein differenzierteres Bild und zieht dabei jeden einzelnen von uns mit in die Verantwortung:
Denn „es gibt einen viel zu hohen Verbrauch von Flächen für Bauvorhaben, für Siedlungs-, Gewerbe- und Straßenflächen. Das ist ein Riesenproblem. Daran sind wir alle schuld. Überall wird nach neuen Baugebieten und Umgehungsstraßen gerufen. Dass fruchtbarer Boden nicht vermehrbar ist, wird dabei vergessen.“
Die Agrarfläche ist in Deutschland tatsächlich aufgrund des Anstiegs der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den letzten 20 Jahren um rund anderthalb Millionen Hektar geschrumpft. Das entspricht etwa der Fläche von Schleswig-Holstein
Zudem führe auch der Ausbau der erneuerbaren Energien durch Photovoltaikanlagen und Windräder zu einer Preissteigerung bei landwirtschaftlichen Boden. Denn viele Landwirte verpachten ihre Flächen laut Tietz zu hohen Preisen an entsprechende Betreiber und würden somit selbst zur Verknappung des Bodens und zum Anstieg der Preise beitragen.
Insgesamt beurteilt er die Situation für Landwirte auf dem Bodenmarkt als schwieriger, weil die Konkurrenz um Flächen viel größer geworden ist. Landgrabbing und nichtlandwirtschaftliche Investoren, die ihr Vermögen in Agrargesellschaften und Ackerboden investieren, seien allerdings nur ein Teil des Problems.
Letztlich bleiben nach unserer Recherche zwei wichtige Punkte bestehen, die es zum Thema Landgrabbing mitzunehmen gilt:
Erstens, bleibt die Forderung nach mehr Transparenz, auch oder gerade weil beide Seiten der Medaille über berechtigte Argumente verfügen. Vor allem in Hinblick auf die jüngsten Abhängigkeiten von anderen Staaten sollten wir diese Erfahrung nutzen, um insbesondere Themen, die unsere Versorgung betreffen, in einem offenen Diskurs zu besprechen.
Dies ist allerdings nur möglich, wenn die notwendigen Informationen und Transparenz vorhanden sind. Denn richtige Entscheidungen können nur auf Grundlage einer soliden Datenlage getroffen werden. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn sie das Eigentum von Menschen betreffen.
Zweitens scheint das Thema Landgrabbing dem ersten Anschein nach eher Landwirte in Deutschland zu betreffen. Bei der Betrachtung der Folgen von Landgrabbing erweist sich dies allerdings als Trugschluss. Nicht nur die signifikanten Preissteigerungen bei baulichen Grundstücken haben weitreichende Konsequenzen, die uns alle betreffen, sondern auch die bei agrarischen Grundstücken.
Damit zeigt sich erneut: Das Thema Grund und Boden geht tatsächlich jeden an! Denn Grund und Boden ist und bleibt nunmal unvermehrbar. Daher tragen wir eine gemeinsame Verantwortung bei der Frage, wir mit Boden umgehen.
Disclaimer
Es handelt sich bei allen Informationen und Empfehlungen in unserem Ratgeber maßgeblich um gewonnene Praxiserfahrungen. Diese wollen wir mit Ihnen teilen, um Ihnen hilfreiche Tipps zu geben und häufig gestellte Fragen bestmöglich zu beantworten. Für die Auskünfte können wir jedoch keine Gewähr auf Vollständig- und Richtigkeit übernehmen.