Laut einer Prognose von Statista werden im Jahr 2030 rund 78% der Deutschen vorrangig in Städten leben. Egal ob diese Prognose tatsächlich zutreffen wird, klar ist: Dort, wo die Wohnsituation ohnehin bereits prekär ist, wird sich die Lage in den nächsten Jahren immer weiter zuspitzen. Diese Situation wirft in der Politik deshalb andere und drastischere Fragen auf:
Welche rechtlichen Mittel stehen dem Staat tatsächlich zur Verfügung, um mehr Wohnraum zu schaffen? Darf man Eigentümer zum Bauen zwingen oder, wenn es erforderlich ist, sogar enteignen?
Die beliebte Universitätsstadt Tübingen zeigt klar, dass Städte und Gemeinden zu härteren Mitteln greifen wollen und können. Der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer hat im Jahr 2019 in Tübingen über 500 Baulücken gesichtet. Während Studenten und junge Familien in der Stadt kaum mehr Chance auf bezahlbaren Wohnraum haben, nennt er die baureifen Grundstücke eine „soziale Frechheit“. Deshalb forderte er rund 240 Eigentümer in einem Schreiben auf, ihre Grundstücke zu bebauen und Wohnraum zu schaffen.
Damit macht er Gebrauch von einem Artikel aus dem Baugesetzbuches, in dem das sog. Baugebot formuliert ist. Sofern dies nicht passiere, drohte der Oberbürgermeister mit einer Enteignung des Grundstücks gegen Entschädigung. Auch diese Möglichkeit lässt sich theoretisch rechtlich im Baugesetzbuch, sowie auch im Grundgesetz, wiederfinden. Für den Fall dass er sich mit Eigentümern nicht einigen kann, will er mehrfach Bußgelder in Höhe von bis zu € 50.000 verhängen. Der Stadtrat stimmte diesem Vorgehen mehrheitlich zu.
Durch ein Baugebot kann eine Gemeinde einen Eigentümer dazu verpflichten, sein Grundstück entsprechend des geltenden Baurechts zu bebauen. Hierfür kann die Gemeinde eine „angemessene Frist“ nennen, in der der Eigentümer den Bauantrag zu stellen hat. Im Beispiel von Tübingen wird den Eigentümern eine Frist von zwei Jahren zur Bauantragsstellung und letztlich eine Bebauung innerhalb von vier Jahren gesetzt.
Grundsätzlich besteht das Recht zur Enteignung von Grundstücken bereits durch das Grundgesetz. Hier heißt es in in §16 wortwörtlich: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dies heißt aber auch, dass eine Enteignung deshalb nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist. Auch das Baugesetzbuch, in denen die Zulässigkeit einer Enteignung in den Paragraphen 85 bis 92 geregelt ist, wiederholt die zwingende Voraussetzung des Allgemeinwohlinteresses.
Gängig sind Enteignungen auf dieser Grundlage zum Beispiel bei einem notwendigen Ausbau von Verkehrswegen wie Autobahnen oder Bundesstraßen. Allerdings werden hier in der Regel nur Teile von Grundstücken, die unmittelbar betroffen sind, enteignet.
Doch ist eine Enteignung zur Schaffung von zusätzlichem Wohnraum in angepassten Gebieten auch zulässig?
Hierfür lohnt sich ein zweiter Blick ins Baugesetzbuch, das weitere Zwecke des Allgemeinwohls näher definiert. Hier heißt es unter anderem, dass die Möglichkeit zur Enteignung besteht, um ein Grundstück entsprechend der Festsetzungen eines Bebauungsplans zu nutzen oder unbebaute oder geringfügig bebaute Grundstücke (insbesondere Baulücken), die nicht innerhalb eines Bebauungsplans liegen, entsprechend der baulichen Vorschriften zu bebauen.
Das grundsätzliche Recht einer Gemeinde zum Bauzwang oder zur Enteignung besteht also unter bestimmten Voraussetzungen. Dennoch sind die rechtlichen Hürden hoch
Fakt ist, dass die Debatte um rechtliche Mittel im Immobilienmarkt aufgrund des massiven Wohnraummangels und den stetig steigenden Immobilienpreisen immer lauter wird. Die Unvermehrbarkeit von Grund und Boden und die damit verbundene soziale Frage rückt wegen der kritischen Situation auf dem Wohnungsmarkt immer stärker in den Vordergrund.
Sicherlich stellt Enteignung das allerletzte Mittel dar. Allerdings schrecken einige Parteien aufgrund der Ausgangslage auch hiervor nicht mehr zurück. In Köln wurde ebenfalls bereits 2019 mehrheitlich, durch vor allem SPD, Grüne und Linke, für ein Enteignungsverfahren eines Grundstücks unter der Überschrift „Gemeinnutz geht über Eigennutz: Baulücke schließen“ gestimmt.
Die Anfänge scheinen politisch vor allem auch durch das Baulandmobilisierungsgesetz gemacht zu sein. Dieses soll unter der Ampel-Regierung noch einmal verschärft werden. Die Frage ist deshalb wohl nicht ob, sondern welche Städte und Gemeinden nachziehen wollen und werden. Allein in Baden-Württemberg liegen über 100.000 baureife Grundstücke frei. Der Fall Tübingen könnte sicherlich als Beispiel eines schnellen Mittels zur Bekämpfung der Wohnungsnot herangezogen werden. Knapp 1/3 der Eigentümer zeigten sich dort sofort einsichtig und stimmten einer Bebauung oder einem Verkauf aufgrund der problematischen Situation zu. Ein weiteres Drittel war ebenfalls nicht abgeneigt und bat um eine Bedenkzeit.
Nicht zuletzt zeigt uns auch der Berliner Volksentscheid über die Enteignung großer Immobilienunternehmen im September 2021 in Berlin, wie ernst die Wohnungsnot in Deutschland zu nehmen ist und wie auch die Gesellschaft immer drastischere Maßnahmen zu fordern scheint.
Auch wenn die Maßnahmen extrem erscheinen, viele junge Familien mit gut bezahlten Berufen und passablem Einkommen suchen in Deutschland mittlerweile vergeblich nach einem passenden und bezahlbaren Bauplatz. Dieses Problem betrifft hierzulande längst nicht mehr nur Geringverdiener, sondern auch die Mittelschicht.
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